„Schwimmen darf kein Luxusgut werden“

NIDDA – (ten). Mit denkbar knapper Mehrheit lehnten die Stadtverordneten in namentlicher Abstimmung während der jüngsten Sitzung am Dienstagabend im Bürgerhaus einen Antrag der CDU ab, sämtliche Planungen für den Bau eines Ganzjahresbades mit sofortiger Wirkung zu beenden. Die Gegner des Antrags erklärten, derzeit könnten ohnehin keine Planungsaufträge vergeben werden, da die entsprechenden Mittel im Haushalt mit einem Sperrvermerk versehen seien.

„Natürlich würde sich auch die CDU ein neues Hallenbad nicht nur wünschen, sondern auch der Realisierung gerne zustimmen“, begründete Till Neumann den Antrag seiner Fraktion. „Leider ist die finanzielle Situation unserer Stadt nicht nur als schwierig, sondern eher als desolat zu bezeichnen.“ Der Schuldenstand von rund 60 Millionen Euro lasse kaum noch Investitionen zu. Ein Neubau bedeute deshalb eine zusätzliche Mehrbelastung der Bürger.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Christine Jäger wunderte sich, dass die CDU den Antrag erst jetzt und nicht schon bei der Abstimmung über den Haushalt im Juni stellte. „Wenn Sie es wirklich ernst meinen würden, (…) dann hätten Sie bereits am 23. Juni, als Sie die Mehrheit im Parlament hatten, gegen den Haushalt und für die Streichung der Mittel sein können.“ Der Antrag sei der Versuch, das Ganzjahresbad als Wahlkampfthema zu platzieren.

Das Geld, das für weitere Planungen im Haushalt eingestellt sei, und ohne die Zustimmung von mindestens 19 Stadtverordneten nicht ausgegeben werden könne, koste keine Zinsen. Aber die Stadt halte sich damit die Option auf Fördermittel und die Möglichkeit, ein neues Bad zu bauen, offen.

Für einen solchen Neubau sei eine breite Unterstützung der Bevölkerung nötig. Dass die Bürger an dem Thema interessiert seien, zeige die Demonstration für ein Ganzjahresbad vor dem Bürgerhaus und das große Publikum bei der Sitzung. Bei der Bürgerbefragung hätten 47,9 Prozent der Befragten den Bau des Ganzjahresbades für notwendig gehalten. Es gebe auch Bürger, die bereit seien, einen Förderverein zu gründen oder höhere Eintrittspreise zu zahlen. Diese Möglichkeiten seien noch gar nicht ernsthaft erörtert worden, monierte Jäger.

Noch vor einem halben Jahr habe die CDU in einem Flyer erklärt, „es gibt keinen Grund, das Stadtbad zu schließen“. Inzwischen habe die Realität Nidda eingeholt. Jäger wollte von der CDU wissen, ob sie bei der Frage von Investitionen in das Freibad ähnlich „kurz“ denke.

Schwimmunterricht

Die SPD-Sprecherin wies auf die Bedeutung des Bades für die Stadt hin. „Was macht ein Sportgymnasium ohne ein Ganzjahresbad?“. Wann solle Schwimmunterricht angeboten werden? Der damalige Innenminister Boris Rhein habe bei der Übergabe des Förderbescheides darauf hingewiesen, Schwimmen sei eine Fertigkeit wie Lesen und Schreiben und es sei wichtig, dass Bürger auch außerhalb der Ballungszentren Schwimmsport betreiben könnten. „Sie nehmen mit diesem Antrag der Stadt Nidda mit ihren Bürgerinnen und Bürgern jede Zukunftsperspektive“, warf Jäger der CDU vor. „Wollen Sie wirklich, dass Nidda eine aussterbende Stadt wird?“

Bernd Schoeps, Fraktionsvorsitzender der Bürger-Liste (BL) entnahm der Befragung andere Zahlen. „77,4 Prozent sagen, eine Steuererhöhung ist nicht oder gar nicht akzeptabel“, begründete er, warum er den Neubau für nicht finanzierbar hält. Mehr als die Hälfte der Bürger habe erklärt, sie wolle das Ganzjahresbad nie oder höchstens selten nutzen. „Das wichtigste Bad für die Niddaer Bürger ist das Freibad“, betonte Schoeps.

Das Freibad könne auch in den Sommermonaten zum Schwimmunterricht genutzt werden. Daneben müsse die Therme in Bad Salzhausen allein schon wegen der vertraglichen Verpflichtungen erhalten werden. Wenn der Haushalt saniert sei, könne das Projekt eines Ganzjahresbades erneut aufgegriffen werden.

Karl-Heinz Haas (Linke) kritisierte, dass auf Bundes- und Landesebene das Geld verschwendet werde, das den Kommunen fehle. Die Hilfen zum Erhalt der Infrastruktur kämen bei den Kommunen nicht an. Der Antrag der Stadt Nidda auf entsprechende Unterstützung vom April 2015 sei bis heute nicht entschieden.

Marcus Stadler (Grüne) mahnte an, dass der Antrag einen weiteren Schritt zum Rückbau der Infrastruktur bedeute. Nach dem Amtsgericht und der Post sei jetzt das Hallenbad an der Reihe. Auch für eine später fällige Sanierung des Freibades sei dann kein Geld da. Denn um das mit dem Hallenbad verknüpfte Freibad zu betreiben, müsse weiter in den maroden Bau des Hallenbades investiert werden. „Längerfristig laufen wir Gefahr, die Funktion als Mittelzentrum zu verlieren und die damit verbundene Unterstützung des Landes“, warnte Stadler. Dadurch werde der Abbau der Infrastruktur noch schneller gehen.

„Schwimmen darf kein Luxusgut werden“, forderte er. Es dürfe nicht sein, dass nur derjenige Schwimmen könne, der sich die Fahrt in die immer weiter entfernten Bäder leisten könne. Gerade für größere Familien und Menschen mit niedrigem Einkommen sei das kaum zu finanzieren. Das Ganzjahresbad könne perspektivisch drei Bäder ersetzen, weil sich sogar ein Solebad daran anschließen lasse.

Helmut Kaiser (SPD) wies ebenfalls auf die Bedeutung des Hallenbades für die Funktion Niddas als Mittelzentrum hin. Dazu gehörten auch zentrale Orte wie regional bedeutsame Sportstätten. Schon wegen des demografischen Wandels sei es wichtig, diese Standards zu erhalten. Selbst der CDU-Landtagsabgeordnete Klaus Dietz habe eine stärkere Förderung solcher zentralen Orte gefordert. Eine Forderung, die SPD-Abgeordnete schon lange erhoben hätten.

Thomas Eckhardt (SPD) wies darauf hin, dass durch einen Abbau der Infrastruktur die Immobilienwerte sinken werden. „Dafür zahlen wir Grundsteuer, dass die Infrastruktur erhalten bleibt.“ Georg Wegner (SPD) ergänzte, dass eine Stadt, die konstruktiv zusammenarbeite, um solche Projekte umzusetzen, für die Bürger attraktiv sein könne.

Der Bau des Ganzjahresbades bedeute weitere Steuererhöhungen, sagte Adelheid Spruck (CDU). Aus der Bürgerbefragung liest sie ein Votum gegen einen Neubau. „Würden wir das Ganzjahresbad bauen, müssten wir auf viele lieb gewordenen Dinge verzichten“, warnte sie.

Gerhard Winter (Grüne), der in der Vergangenheit eher durch Kritik an dem Projekt aufgefallen war, wollte von der CDU wissen, wie der Antrag praktisch umgesetzt werden solle, denn die Mittel seien ja jetzt im Haushalt eingestellt. Das Geld müsse ja nicht ausgegeben werden, entgegnete Hans-Jürgen Gerlach mit einem Zwischenruf. Winter plädierte dafür, den Antrag abzulehnen und stattdessen lieber eine realistische Abschätzung der Folgekosten eines Ganzjahresbades zu ermitteln.

Jan-Philipp Repp (CDU) äußerte zum Ende der Debatte Verständnis für die Vereinsvertreter, die sich für das Ganzjahresbad aussprächen. „Die höheren Steuern müssen nachher aber alle Niddaer Bürger bezahlen.“ Letztlich sah er aber das Scheitern des Antrags voraus. Um den Sperrvermerk aufzuheben, brauche es 19 Stimmen. „Das sind wahrscheinlich genau die 19 Stimmen, mit denen Sie unseren Antrag heute ablehnen.“

Quelle: Kreis-Anzeiger