Aufklärungsarbeit in Sachen Einwohner- und Finanzentwicklung – Stadtkämmerer Reimund Becker referiert – „Weg vom negativen Blick“
(ih). „Bevölkerungsentwicklung und Finanzentwicklung in der Stadt Nidda“ hatte Kämmerer Reimund Becker seinen Vortrag im Rahmen einer Informationsveranstaltung des SPD-Ortsvereins überschrieben. Eine Stunde wollte er sprechen, zwei wurden es. Das zahlreich erschienene Publikum dankte es ihm mit parteienübergreifendem Applaus.
Während die Bevölkerung im Wetteraukreis und insbesondere im westlichen Teil zunimmt, ist seit 2002 die Bevölkerungsentwicklung in der Region Oberhessen stark rückläufig. Nidda zählt mit Ortenberg, Kefenrod, Glauburg und Hirzenhain zu den Kommunen, die zwischen 1995 und 2007 ein Einwohnerminus hinnehmen mussten. Hinzu kommt der demographische Wandel, der dazu führt, dass die Gesellschaft anzahlmäßig immer kleiner, älter und bunter wird.
Reimund Becker rechnete anhand statistischer Zahlen die Auswirkungen von einem Minus von 1 000 Einwohnern vor: „Das bedeutet beispielsweise 42 000 Kubikmeter weniger an Wasserverbrauch und zirka 84 000 Euro geringere Erlöse bei den Stadtwerken. Geringere Geburtenzahlen gefährden den Schul- und Kindergartenstandort. Weniger Einwohner bedeuten weniger Kaufkraft. Das Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs wird gefährdet.“
Aber genau diese Faktoren sind ausschlaggebend für die Definition von Nidda als Mittelzentrum gemäß Entwurf des Regionalplans Südhessen. So sollen die Mittelzentren als Standorte für gehobene Einrichtungen im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und Verwaltungsbereich und für weitere private Dienstleistungen gesichert werden. Sie sind Standorte für eine über die Eigenentwicklung hinausgehende Siedlungstätigkeit und für großflächige Einzelhandelsvorhaben. Das Verkehrsangebot soll so gestaltet werden, dass die Mittelzentren die Funktion als Verknüpfungspunkte des regionalen Verkehrs mit dem Nahverkehr erfüllen können.
Interessanter Vergleich
Noch erfüllt Nidda diese Faktoren – und erhält damit je Einwohner eine um 25 Prozent höhere Berücksichtigung bei der Mittelzuweisung vom Land im Rahmen des kommunalen Finanzausgleichs. Dabei wird die infrastrukturelle Situation der Kommune nicht berücksichtigt. Ein Vergleich mit anderen Kommunen – und insbesondere dem Taunusstädtchen Schwalbach – zeigt jedoch deutlich, mit welchen strukturellen Gegebenheiten Nidda zu kämpfen hat: 18 676 Niddaer leben in 18 Ortsteilen auf einer Fläche von 118 Quadratkilometern. Nidda bietet etwa 5 000 Arbeitsplätze, insgesamt werden 2,5 Millionen Euro Gewerbesteuer erzielt.
In Schwalbach hingegen leben rund 15 000 Einwohner in einem einzigen Ortsteil auf einer Fläche von nur 6,5 Quadratkilometern. An 7 000 Arbeitsplätzen werden rund 37 Millionen Euro Gewerbesteuer erzielt.
Auf der Einnahmenseite einer Kommune stehen Gebühren, Beiträge und Steuern. Letztere Einnahmequelle ist der einzige Bereich, in dem die Stadt beim Anteil der Gemeindesteuern einen eigenen Gestaltungsspielraum durch Veränderung der Hebesätze hat. Weiterhin erhält Nidda Schlüsselzuweisungen des Landes Hessen in Höhe von 4,3 Millionen Euro.
Die Ausgabenseite erhält ihre Prioritäten auf Basis der Aufgaben, die von Pflicht- über Weisungsaufgaben bis zu freiwilligen Aufgaben rangieren. So gehören Abwasserbeseitigung, soziale Angelegenheiten/Kindergärten und Brandschutz zu den Pflichten einer Kommune, Einhaltung der öffentlichen Ordnung, Melde- und Standesamtwesen oder Baurecht zu den Weisungsaufgaben. An den damit verbundenen Ausgaben kommt die Kommune nicht vorbei. Lediglich bei den freiwilligen Aufgaben, wie kulturellen Angelegenheiten, dem Betrieb von Schwimmbädern oder Sportanlagen, Jugendzentren oder Altenheimen sowie der Einrichtung und Pflege von Grünanlagen hat die Kommune die Chance, durch Wegfall oder Reduzierung des Angebotes Gelder einzusparen.
Markante Daten
Die Haushaltsentwicklung der Stadt Nidda ist von markanten Daten geprägt: In 2002 war der Haushalt erstmals nicht ausgeglichen. Seit 2003 läuft der Kurbetrieb in Bad Salzhausen in Eigenregie. Fünf Jahre lang erhielt die Stadt einen Verlustausgleich in Höhe von rund 1,9 Millionen Euro. Der endete 2007, seit 2008 schultert die Stadt den Verlust allein. 2005 wurde dem ZOV die Abwasserentsorgung übertragen: Um die entsprechenden Summen wurde der Haushalt entlastet. Bis 2006 hatte die Stadt den Bäderpfennig für allgemeine städtische Ausgaben ausgegeben, seit 2007 wurde der Bäderpfennig direkt nach Bad Salzhausen abgeführt. Die Einführung der doppelten Buchführung in 2008 wirkte sich dahin gehend aus, dass die Stadt erstmals Anlagewerte bei den Haushaltsplanungen berücksichtigen musste: die Abschreibungen aller Werte zusammen lagen bei 1,9 Millionen. Mit all diesen Faktoren erklärt sich der sprunghafte Anstieg des Haushaltsdefizites.
Eine Übersicht über die Schulden der Stadt und die Teilhaushalte mit den größten Defiziten gab der Kämmerer ebenfalls: am Beispiel der insgesamt acht Kindertagesstätten, der 131 Kilometer Gemeindestraßen, der 17 Bürgerhäuser und des Schwimmbades zeigte Reimund Becker detailliert die prekäre Ertrags- und Ausgabensituation auf.
Außerdem begründete er die Neukalkulation, sprich Erhöhung, des Wasserpreises für die Bürger. Ein weiterer neuralgischer Punkt: das Staatsbad Bad Salzhausen. Bereits seit 1975 arbeitete das Bad defizitär. Mit dem Bau des Solebades in 1981 sowie der Gesundheitsreform und der Kurkrise in den 90er Jahren erhöhte sich das Defizit kontinuierlich. Selbst wenn die Stadt den Kurbetrieb schließen würde: „Die Arbeitsplätze fallen weg. Und die Verluste bleiben in öffentlicher Hand. Das heißt, 1,7 Millionen Euro legt die Stadt drauf bei heutigem Angebot. Eine Million legt die Stadt drauf, wenn nichts mehr da ist, da wir weiterhin unseren Eigentümerpflichten nachkommen müssen.“ Becker sieht die Möglichkeit einer Trendwende aus der Umsetzung der Empfehlungen aus dem Gutachten des Experten Professor Eisenstein von der Touristikfachhochschule Heide, nämlich Bad Salzhausen als Gesundheitsort innerhalb der Destination Vogelsberg zu positionieren. Während die Übernachtungen stetig rückläufig sind, sind die Gästezahlen seit der Finanzkrise 2008 wieder leicht gestiegen.
Der Erste Stadtrat, der vor drei Jahren sein erstes Haushaltssicherungskonzept vorlegte, schätzte: „Ich sehe die nächsten fünf Jahre keinen ausgeglichenen Haushalt.“ Dennoch wünschte sich der Stadtkämmerer „einen positiven, kreativen Geist bei der Gestaltung der Zukunft der Stadt“, nannte Beispiele anderer Kommunen mit vergleichbaren Problemen, in denen die Bürger beispielsweise Patenschaften für Schlaglöcher übernommen hatten. In Anbetracht der vorgerückten Stunde bot er an, für weitere Informationsgespräche dieser Art zur Verfügung zu stehen.
Die SPD-Ortsvereinsvorsitzende Christine Jäger hoffte ebenfalls, mit dem Vortrag mehr Transparenz und Klarheit in die Kommunikation gebracht zu haben: „Nur durch solidarisches Miteinander erreichen wir eine stabile und nachhaltige Finanzausstattung für die Zukunftsplanung und eine Korrektur des kommunalen Finanzausgleichs. Wir wollen einen ehrlichen Dialog mit den Bürgern und politischen Mitbewerbern führen. Denn kommunal ist nicht egal.“
Quelle: Kreis-Anzeiger