„Amtsgericht hat eine wichtige Funktion für die Region“

Hunderte Bürger demonstrieren für den Erhalt – Kritik an widersprüchlicher Politik

Kreis-Anzeiger (ten). Man konnte in den Problemen mit der Lautsprecheranlage bei der gestrigen Demonstration für den Erhalt des Amtsgerichts Nidda durchaus eine gewisse Symbolik sehen. Die Redner mussten ihre Stimme erheben, damit sie von den mehreren hundert Teilnehmern der Kundgebung gehört wurden. „Auf Demonstrationen muss man immer ein bisschen krakeelen, damit man Gehör findet“, brachte die Landtagsabgeordnete Lisa Gnadl (SPD) die technischen mit den politischen Problemen zusammen.

Bürgermeister Hans-Peter Seum erklärte, dass man durch die Zahl der Demons-tranten und die rund 5000 Unterschriften, die er Justizminister Jörg-Uwe Hahn übergeben habe, der Forderung nach dem Erhalt des Gerichts Nachdruck verleihe. „Insbesondere wegen der vielen Betreuungsfälle hat das Amtsgericht eine wichtige Funktion für die Region“, betonte Seum mit einem Gruß an die zahlreich erschienene Gruppe dieser von einer Schließung besonders Betroffenen. „Diese Menschen sind auf die ihnen vertrauten Strukturen angewiesen und können nicht wie Zahlen in einer Tabelle beliebig hin und her geschoben werden.“ Gnadl sprach in diesem Zusammenhang die Folgen des demographischen Wandels an. „Die Aufgaben werden mehr, nicht weniger.“

Seum warf dem Land widersprüchliches Handeln vor. „Einerseits erhalten wir Fördergelder von der EU zum Ausgleich unserer Standortnachteile, zeitgleich soll uns eine als Magnetfunktion wichtige Behörde genommen werden.“ Er befürchtet: „Wenn das Amtsgericht seine Pforten schließt, wird es nicht lange dauern und weitere Behörden werden folgen.“

Dabei seien die als Grund für die geplante Schließung genannten Einsparungen nicht schlüssig belegt. Selbst für Butzbach, wo das Amtsgericht bereits vor einigen Jahren geschlossen wurde, gebe es keine Kosten-Nutzen-Analyse. Gnadl ergänzte, dass sie eine Anfrage zu den erwarteten Einsparungen gestellt habe. Die Antwort habe gezeigt, dass nicht alle Faktoren, wie der durch eine Schließung steigende Fahraufwand der Mitarbeiter, berücksichtigt wurden.

Landrat Joachim Arnold betonte: „Das Amtsgericht ist einer der Stützpfeiler, an dem wir unsere Strukturentwicklung in Zukunft aufbauen können.“ Der Verlust des Gerichts würde einen herben Rückschlag für den Ostkreis bedeuten. „Wenn wir zulassen, dass die Axt an eine Säule, die Nidda trägt, gelegt wird, dann ist das ein Signal an die Landesregierung, weiterzumachen.“ Es drohe die Schließung anderer Behörden. Frühere Regierungen hätten durch die dezentrale Ansiedlung von Behörden erfolgreiche Strukturpolitik gemacht. Unter großem Beifall kündigte Arnold dem Justizminister für den Fall einer Schließung an: „Dann brauchst Du Dich in Nidda nicht mehr sehen lassen.“

Adelheid Spruck-Stehling betonte für die CDU-Fraktion, dass alle Stadtverordneten für den Erhalt des Gerichts einträten und deshalb eine Unterschriftensammlung initiiert hätten. Sie monierte, dass das Land einerseits 800 000 Euro in die Sanierung und Renovierung des ehemaligen Schlosses, in dem das Gericht sitzt, gesteckt habe, andererseits aber mit der Schließung Leerstand, Verfall und damit Verlust der Investitionen in Kauf nähme.

Marlies Fels unterstrich für die FDP/FUB-Fraktion die zentrale Lage Niddas im Landgerichtsbezirk Gießen. Mit jährlich rund 400 Strafsachen, 700 Zivilverfahren und 1550 Betreuungsverfahren sei das Amtsgericht sehr effizient. „Die hohe Effizienz ist auch ein Resultat der großen Bürgernähe unseres Amtsgerichts“, hob sie hervor. Die Mitarbeiter könnten Betroffene schnell erreichen und notfalls auch zu Hause anhören, wenn sie nicht zum Gericht kommen könnten. „Wer zahlt die höheren Kosten für lange und umständliche Anfahrtswege von Richterinnen und Richtern?“, stellte Fels die Einsparungen in Frage. „Ich bin davon überzeugt, dass im Fall einer Schließung ein Schandfleck in Nidda entstünde, für den die Bürger ein zweites Mal zahlen müssten“, sagte sie die Zukunft des Schlosses voraus. Statt der Schließung forderte sie die Stärkung des Amtsgerichts durch die Ansiedlung eines Familiengerichts.

Erster Stadtrat Reimund Becker forderte, Veränderungen nicht nur betriebswirtschaftlich, sondern auch volkswirtschaftlich zu untersuchen. Beispiele, wo eine rein auf Einsparung orientierte Entwicklung Nachteile für den Bürger gebracht habe, seien unter anderem Post, Bahn, Telefon oder das Gesundheitswesen.

Den Abschluss der Demo bildete eine Menschenkette um das Amtsgericht. Dabei bemerkte Ortenbergs Bürgermeisterin Ulrike Pfeiffer-Pantring, die sich, obwohl nicht unmittelbar betroffen, mit dem Protest solidarisierte, dass sie die Niddaer Bundestagsabgeordnete Lucia Puttrich unter den Politikern vermisst habe.

Quelle: Kreis-Anzeiger